Das „Fenster“* in Tokyo - „Tanko Bushi“ ** in Berlin

Das „Fenster“* in Tokyo  -  „Tanko Bushi“ ** in Berlin

oder wieviel Jahrzehnte ging die kulturelle Globalisierung der wirtschaftlichen voraus?

Vorgeschichte

Im Dritten Reich mussten sich die meisten Freizeit-Tanzgruppen dem Versammlungsverbot beugen und mit dem Tanzen aufhören. Es gab, wie Volker Klotzsche es dargestellt hatte, auch einige Tanzgruppen, die mit einer gewissen Systemnähe weitermachen durften.

Deutscher Volks- Tanz, ist seit >hundert Jahren bis heute ein Gemisch aus authentischem Volkstanz und Jugendtanz. Jugendtanz ist so zu verstehen, dass Tänze im deutschen Stil/Quadrillen mit Volksmusikelementen von TänzerInnen, Musikerinnen oder TanzleiterInnen choreografiert wurden. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es enge Verbindungen zu Tanzgruppen in Nord- und Osteuropa. Man befand sich in einem regen Austausch von Figuren und Tanzelementen.

Nach Beendigung des Krieges haben die TanzleiterInnen mit ihren MusikerInnen wieder mit deutschen Volkstänzen und Jugendtänzen angefangen.

Was geschah nach dem Krieg?

Der Marshall Plan wurde mit dem Ziel implementiert, in Westdeutschland die Bevölkerung an einen amerikanischen Lebensstil zu gewöhnen. Ein weiteres Ziel stand dabei auch im Vordergrund: Es sollte damit die amerikanische Wirtschaft angekurbelt werden. Um dieses Ziele zügig voran zu treiben, wurden Protagonisten auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung für 3-6-Monate mit einem Fulbright Stipendium nach USA eingeladen. Sie lernten amerikanische Schulen, Colleges und Universitäten kennen. In den Bildungseinrichtungen wurde in der Freizeit International Folk Dance (IFD) getanzt. Das IFD Programm beruhte auf einem Tanzprogramm, „101 Easy Dances“, das sich im Rahmen der amerikanischen Settlement Bewegung seit 1920 herauskristallisiert hatte. Die amerikanische Settlement Bewegung war dafür konzipiert, die Neu –Einwanderer mit den etablierten Einwanderern unter Wahrung ihrer kulturellen Eigenheiten zusammenzubringen. Als kulturelle Eigenheiten galten Musik, Gesänge, Tänze und Speisen der jeweiligen Heimat. Unabhängig von der Settlement Bewegung bestand seit der Weltausstellung 1939 In NYC ein Hype um Volkstanz, den ein begnadeter Tanz Animateur, Michael Herman, ausgelöst hatte. Plötzlich wollten alle die Tänze ihrer Väter kennenlernen.

In Deutschland konnten die Rückkehrer das Tanzprogramm sehr erfolgreich einführen, da sie standardisierte Tanzbeschreibungen und die Musik dafür auf Schallplatten hatten. Damit fand eine Erweiterung des Tanzprogramms statt, die nach der Abgeschlossenheit im Dritten Reich gierig aufgenommen wurde. Gleichzeitig wurden im Gebiet der Westalliierten deutsche (Volks)Tänze pauschal als Ausdruck einer rückwärtsgewandten geistigen und politischen Einstellung diffamiert. Durch das neue Tanzprogramm wurde ein inhaltlicher Keil zwischen die östliche und westliche Tanzszene getrieben, unterstützt dadurch, dass in der russischen Besatzungszone deutsche Volkskultur als Ausdruck der Arbeiter und Bauern staatlicherseits gefördert wurde, während es im Westen keine wesentliche Förderung für Tanzen gab.

Die Beobachtung wie schnell sich das neue Tanzprogramm in Deutschland durch setzte, wurde bereits Anfang der 50er von den Amerikanern aufgenommen und gezielt in Japan, das, wie Deutschland, unter Alliierter Besatzung stand, eingesetzt. Unter den in Japan Stationierten befanden sich in verschiedenen Einheiten Volkstänzer, die nach und nach japanische Mitarbeiter zum Tanzen in ihre Gruppen einluden. In kürzester Zeit wurden von den Japanern eigene Tanzgruppen für dieses westliche Tanzprogramm gegründet.

Um die Tanzszene in Japan mit Material zu versorgen, organisierten die Amerikaner in Laufe der nächsten 10 Jahre mindestens drei mehrmonatige Seminartouren mit amerikanischen Tanzleitern. Wie Nelda Drury, S.A. Texas, uns mitteilte, wurden sie von der amerikanischen Verwaltung dafür bezahlt.

Diese Unterstützung wurde der deutschen IFD Szene nach dem Krieg nicht gegeben.

Die japanischen TanzleiterInnen wurden genau wie die deutschen TanzleiterInnen selbstständig und organisierten sich ihre regelmäßigen Fortbildungen, um Tanzmaterial für ihre Tanzgruppen zu haben. Sie luden dafür in den ersten Jahren, die Tanzlehrer ein, die sie durch amerikanische Unterstützung kennengelernt hatten. Später luden sie auch Tanzlehrer ein, die aus den Ländern der Tänze kamen.

Es wurde seit den 50er Jahren in Deutschland und in Japan das Tanzprogramm „101 Easy Dances“ in basisdemokratisch geführten Tanzgruppen mit ehrenamtlicher Leitung getanzt. Die Auseinandersetzung mit der Kultur anderer Länder war und ist wertschätzend und von Neugier geprägt, d.h. die TänzerInnen beider Länder reisen in die Herkunftsländer der Tänze oder legten sich Trachten von dort zu um eine besondere Verbundenheit zu den Menschen oder der Kultur zu zeigen. .

Zum Tanzprogramm ist zu sagen, dass es aus 20% deutschen und österreichischen Tänzen, 10% skandinavischen Tänzen, 25-30% Balkantänzen, 10% polnischen und osteuropäischen Tänzen sowie jeweils 10% russischen, ungarischen und tschechischen Tänzen bestand. Später kamen noch israelische Tänze dazu. Am beliebtesten waren die Tänze im Kreis, da es nach dem Krieg nur wenige Männer als Tanzpartner gab. So kann es auch erklärt werden, dass sich gerade Balkantänze und Israelische Tänze großer Beliebtheit erfreuten.

Kennengelernt haben sich die japanischen und deutschen VolkstänzerInnen erst Ende der 80er Jahre auf Seminaren, die sie, z.B. als Balkantänzer, im ehemaligen Ostblock besuchten. Inzwischen sind Volkstänzer aus Taiwan und Hongkong dazu gekommen, die das gleiche Programm tanzen.

Offen ist die Frage, ob die Amerikaner dachten, dass das internationale Tanzprogramm ein rein amerikanisches Programm sei oder ob sie sich der Tatsache bewusst waren, dass die Tänze ursprünglich mit den Einwanderern aus vielen Ländern in die USA kamen und gar keinen amerikanischen Ursprung hatten. Implementiert wurden sie als amerikanische Tänze in beiden Ländern und sollten dort vermutlich die Volkskultur beeinflussen oder ablösen. Nach 60 – 70 Jahren kann man sagen, dass die Amerikaner mit den Tänzen kulturelle Vielfalt, Offenheit für Neues, persönliches Engagement und Demokratie auf den Weg gebracht haben. The American Way of Life, wie im Marshall Plan konzipiert, gehörte sicher nicht dazu.

Wie können wir die Vertreter der Verwaltungen, die dem Volkstanz allgemein eine rückwärts gewandte, möglicherweise völkische Tendenz nachsagen, überzeugen, dass wir schon lange um den Globus herum tanzen und innerhalb von Europa enge Verbindungen zu anderen TänzerInnen pflegen???? Nix mit völkischer Einfalt, wir pflegen schon sehr lange eine kulturelle Vielfalt der Völker in einem transkulturellen Denkansatz!

*Ein österreichischer Volkstanz; **Ein Tanz aus Japan, der die Arbeit von jap. Bergarbeitern darstellt.

geschrieben von

Eveline Krause